Der dreiseitige Fuþball

"F¸hlst du nicht an meinen Liedern / Daþ ich eins und doppelt bin" schrieb Goethe in seinem "West-÷stlichen Diwan" und lieþ dabei offen, ob die Summe der Gleichung Zwei oder Drei betrgt. Doch der Wettstreit dieser beiden Zahlen ist viel lter.

Das Christentum hatte sowohl die Dreifaltigkeit im Aufgebot, als auch eine dualistische Heilslehre. Die Ketzer konterten mit Freimaurerpyramiden. Zugleich operierten sie mit einem alchemistischen Brautpaar von Mikro- und Makrokosmos. Als man im 19. Jahrhundert die beiden Gegner auswechselte, stand die Zahl Zwei schon als eigentlicher Sieger fest. Die Marxisten exerzierten ihr dialektisches System, whrend der Nationalstaat ein kollektives "Selbst" gegen ein kollektives "Anderes" ausspielte. Zur gleichen Zeit kam das Fuþballspiel auf, und es plazierte sich geschickt im Mittelfeld von proletarischer Kultur und Nationalismus.

Der heutige Fuþball erlaubt, ganz zeitgemþ, vielschichtige Identitten. Geschickt weiþ das Publikum zwischen lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Ebenen umzuschalten und seine Identifikationen anzupassen. Wer jeden Samstag seinen Bayern-Haþ kultiviert, kann dennoch mit Matthus & Co. dem Europacup entgegenfiebern. Die Nationalmannschaft darf Bayern, Dortmunder und sogar Bremer ungestraft vereinen, und wenn alles versagt, bieten Inter Mailand oder Ajax Amsterdam neue Heimat.

Das Schne dabei ist: Das Spiel bleibt, trotz allem, immer gleich. Mannschaft 1 gegen Mannschaft 2, die eigenen gegen die anderen. Nur die Leserichtung ndert sich - nach der Halbzeitpause. Der Anpfiff initiiert einen Triebstau, Triebaufbau im Mittelfeld, Frustration in der Defensive und kollektive Exstase im Torschuþ.

Der Schiedsrichter allein paþt nicht diese Logik, denn er ist sowohl Mitspieler, als auch Nicht-Spieler. Zur ungeliebten dritten Partei wird er, wenn das Spiel der beiden Mannschaften nicht funktioniert. Spieler und Publikum erklren ihn dann zum neuen Gegner, zur "Pfeife".

Der dnische Maler Asger Jorn hatte die Idee eines wirklich dreiseitigen Fuþballspiels, in dem drei Mannschaften auf einem Feld gegeneinander antreten. Er hoffte, im dreiseitigen Fuþball die Dialektik des alten Spiels durch eine "Trialektik" zu ¸berwinden. Beim Konzept jedoch lieþen es Asger Jorn und seine Mitstreiter in der sogenannten "Situationistischen Internationale" bewenden. Ausgezehrt von stndigen Ausschluþverfahren htten sie selten auch nur eines der drei Teams aufbringen knnen.

Zwei Jahrzehnte spter jedoch, im Jahr 1993, wurde Asger Jorns Konzept wiederentdeckt und eine Weltliga des dreiseitigen Fuþballs gegr¸ndet. Ein Trainer des Verbands, der gerade als Talentscout durch Deutschland reist, verrt uns die Details:

"Die 'Luther Blissett 3-sided Football League' ist eine Art europische Geheimgesellschaft. Seit 1993 kam es zu ungefhr dreiþig dreiseitigen Fuþballbegegnungen in London und in Rom. Wir veranstalten gerade eine geheime Europische Meisterschaft. Die Mannschaften spielen allerdings nicht f¸r ihre Nationen, sondern f¸r ihre Heimatstdte."

Die "Luther Blissett Three-Sided Football League" kennt keine herkmmlichen Fuþballpltze. Alle Spiele werden auf einem sechseckigen Feld ausgetragen. Die Tore stehen an jeder zweiten Auþenlinie, und statt einer eigenen Hlfte halten die Mannschaften jeweils zwei Sektoren des Sechsecks. Gewinner ist nicht, wer die meisten Tore schieþt, sondern wer die wenigsten kassiert. Um das Spiel symbolisch aufzuladen, tragen die Teams Hieroglyphen des Renaissancemagiers John Dee auf ihren Trikots.

Doch was motiviert die Spieler zu solchen Anstrengungen?

"Im dreiseitigen Fuþball gibt es nicht nur 'wir' und 'die anderen'. Es ist ein packendes Denkspiel, eine Art Naher Osten, wo B¸ndnisse stndig und unkalkulierbar wechseln. Es ist ein Spiel der Tuschung, es ist wie Geheimdienstarbeit."

Ðber dem Sechseck der Okkultkicker schwebt ein urbaner Mythos, das kollektive Phantom Luther Blissett. Musikgruppen und Buchautoren haben seinen Namen angenommen, und so auch die dreiseitige Fuþball-Liga:

"Sie ist nach Luther Blissett benannt, weil er ein ber¸hmter Fuþballer ist. In den spten 70er Jahren begann er, dreiseitigen Fuþball zu spielen, als er noch beim Fuþballclub Watford unter Vertrag stand; sein Vereinsprsident war Elton John."

Die Dreiseiten-Kicker der 90er Jahre sind Amateure, und so bleibt ihnen der kommerzielle Spagat erspart. Gibt es trotzdem eine Konkurrenz zum althergebrachten Fuþball? Was hlt unser Coach eigentlich von der laufenden Zweiseiten-EM?

"Ich sehe mir nur noch die Fuþball-Shows im Fernsehen an, allerdings nur die Moderationen und nicht die Ðbertragungen, die Partien selbst interessieren mich nicht."

Das lþt aufhorchen: Geht es bei all den Luther Blissetts, Bllen, Sechs- und Rechtecken wirklich nur um Dialektik oder Trialektik? Vielleicht treibt sie ja alle derselbe Stachel - die Hoffnung nmlich, daþ das Spiel immer weitergehen mge. Goethe wuþte auch dies im West-÷stlichen Diwan zu beschreiben:

 

"Daþ du nicht enden kannst, das macht dich groþ
Und daþ du nie beginnst, das ist dein Los.
Dein Lied ist drehend wie das Sterngewlbe,
Anfang und Ende immerfort dasselbe."

 

 

Florian Cramer